Fragt mich jemand nach meiner Glaubensrichtung, geriet ich bisher oft ins Straucheln, was ich antworten soll. Inzwischen habe ich einen Begriff gefunden, der meine Glaubensrichtung wohl am ehesten charakterisiert: ökumenisch jüdisch. – Hm, mag sich mancher denken, wie ist das zu verstehen? Ob dieser Begriff von irgendjemandem schon einmal in dieser Form geprägt wurde, weiß ich nicht, sehr wohl aber, was ich darunter verstehe: ich bin jüdisch in meiner Gesinnung, doch keine Jüdin, denn mich hat eine Christin geboren. - Ich fühle mich zutiefst verbunden mit den jüdischen Wurzeln des Christentums, kann aber nicht alles, was das Christentum hieraus entwickelt hat, für mich akzeptieren und annehmen. Dazu gehört in erster Linie die Anerkennung Jesus als Maschiach (Messias) und den daraus entstandenen Auferstehungs- und Erlösungsgedanken. Dass mein Geist nach meinem irdischen Ableben zurückkehren wird in den großen Geist des Ewigen, davon bin ich hundertprozentig überzeugt; mit der Vorstellung, dass ich als „Erlöste“ auf dieser Erde lebe und handle, kann ich jedoch nichts anfangen. In all meinem Handeln sehe ich mich vom Ewigen beschenkt mit Freiheit und höchster Verantwortung gegenüber IHM und all meinen Mitmenschen. – Also bin ich ökumenisch jüdisch. – Ökumenisch als reformierte Protestantin geboren und zur katholischen Kirche konvertiert, um den Wurzeln näher zu sein. Meine Schwester nennt die Katholiken gern die „ursprünglicheren Christen“. Diese Bezeichnung trifft sehr konkret zu; kann ich doch die katholische Liturgie uneingeschränkt zurückführen auf ihre jüdischen Ursprünge, was mir im Protestantismus eher weniger gelingt. Nicht uninteressant an dieser Stelle ist, dass die Fixierung der traditionell mündlichen Torah aus der Zeit von Mosche als schriftliche Torah erst 200 n. Chr. geschehen ist; das bedeutet, dass es die christlichen Evangelien, die um 60-125 n. Chr. entstanden sind, bereits gab, und sich damit die spannende Frage erhebt, wer nun wen mehr beeinflusst und inspiriert hat. – Jüdisch betrachte ich mich, weil ich den Juden Jesus wohl als gelehrten Rabbiner mit großem Charisma achte und wertschätze, nicht aber als den Christus anerkenne, der dem Christentum letztlich den Namen gab. – Meine Gesinnung war, ist und bleibt vielmehr jüdisch, und im Bild des Christus sehe ich jenen besagten positiven „Webfehler“ in meinem Religionen verwebenden „Glaubens-Teppich“, durch welchen hindurch der Geist des Ewigen ein- und ausgeht, um meinen Geist zu nähren, zu bereichern und zu beflügeln. - Als "Christus" bezeichnet das Christentum jene Zwischenwelt, die ich in der kabbalistischen Zwischenwelt der 10 "Sefirot" des durch Emanation entstandenen Lebensbaumes der Kabbala finde. Menschen brauchen Bilder, und schaffen sich diese, für ihren persönlichen Zugang zu diesem völlig abstrakten Gott, dessen Name im Jüdischen nicht einmal ausgesprochen wird. Doch im Unterschied zur christlichen Zwischenwelt des Mensch gewordenen Gottes in Christus, verbleibt die jüdische Zwischenwelt der Sefirot im Abstrakten, um jeglichen "Götzendienst" von vorn herein erst gar nicht aufkommen zu lassen. Gott ist Geist, der alle Geschlechter in sich trägt, und von dem der Mensch sich laut Dekalog keinerlei vermenschlichtes Bild machen sollte.
Ökumenisch jüdisch sein ist meine ganz persönliche Art Glaube wahrzunehmen und zu praktizieren.
Zum besseren Verständnis meiner etwas ungewöhnlichen Glaubenshaltung könnte auch nebenstehendes Skript beitragen. - Wie gehe ich, als relativ jüdisch denkender Mensch, mit der Person Jesus um? - Eine Frage, die mich ein Leben lang begleitet hat und auch weiterhin begleiten wird. ->